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Gärten in Europa
England
West Dean Gardens

Chichester liegt ganz in der Nähe der Isle of Wight, die im Sommer zahllose Touristen anzieht. Kein Wunder, gibt es dort doch eine blendend weiße Kreidefelsenküste und Osborne House zu sehen, die einstige Inselresidenz von Königin Victoria (1819-1901). An der Kleinstadt Chichester ziehen die meisten Urlauber vorbei. Dabei kann man wenig nördlich davon West Dean Gardens besuchen, eine außergewöhnliche Park- und Gartenanlage aus Viktorianischer Zeit, und bei Chichester Harbour im Süden erstreckt sich eine weite Dünenlandschaft mit tief eingeschnittenen Buchten. Die Naturschutzorganisation The National Trust nennt den Küstenstreifen stolz "the last piece of natural coastline in the county", den letzten naturbelassenen Küstenabschnitt in der Grafschaft West Sussex.
Die Pfade zu diesem maritimen Kleinod sind ein wenig verschlungen. Der Bus aus Chichester hält am Tante-Emma-Laden von West Wittering. Eine Kundin erklärt mir den Weg.
Wenig später hält am Straßenrand ein Auto. Die Kundin aus dem Laden kurbelt die Scheibe herunter, um mir nochmals die Abzweigung Richtung Meer zu zeigen. Jenny ist gerade auf dem Weg zu ihrem Schrebergarten. Sie stellt den Motor ihres Wagens ab und erzählt, dass sie Mitglied in der Chichester Organic Gardening Society ist und sich dem biologischen Anbau von Obst und Gemüse verschrieben hat. Ob mich das interessieren würde? "Jump in", sagt sie schließlich, und ich steige ein. Vorbei an dichten Sträuchern geht es den Hügel hinauf, und nach kurzer Fahrt halten wir am Gatter des "allotment", einem weiten, von Beeten überzogenen Areal. Wolken von Bohnenstauden ranken an dünnen Holzstangen empor und groß wie Elefantenohren wölben sich die Blätter des Weißkohls um die Kugeln in seiner Mitte. Daneben bilden Erdbeerpflänzchen, Petersilie und Salat saftig grüne Reihen. In einem berühmt gewordenen Essay aus dem Jahr 1712 gibt der Philosoph Joseph Addison seiner Überzeugung Ausdruck, dass "ein Küchengarten einen erbaulicheren Anblick biete als die schönste Orangerie oder ein raffiniertes Gewächshaus."
Jenny schlendert am Rand der Gemüsebeete entlang und zeigt mir plaudernd ihre Schätze. "Ein Unternehmer will hier Tennisplätze anlegen, aber wir lassen uns das nicht bieten". Seit ihr Mann im letzten Jahr gestorben ist, kämpft sie selbst um den Erhalt der geliebten Grundstücke - zusammen mit den anderen Schrebergärtnern. Schließlich bückt sie sich, um eine große Himbeere für mich abzupflücken. Ich könne sie ruhig ungewaschen essen, versichert sie, denn in ihrem Garten sind giftige Spritzmittel Tabu. "Auch der verwendete Dünger ist rein organischer Natur", sagt sie noch, während mir die Himbeere auf der Zunge zergeht und ihr hinreißendes Aroma entfaltet.
Die Zeiten, in denen die Arbeiterklasse ihren Speisezettel mit Produkten aus dem eigenen Schrebergarten bereicherte, sind längst vorbei. Vor Jahrzehnten schon begann sich die Mittelschicht in den Vorstadtoasen einzuquartieren. Manche Familien verbringen sogar ihre Ferien dort. Mit der Gesellschaftsschicht hat sich auch die Einstellung der Kleingärtner verändert. Während die sogenannte working class Obst und Gemüse schlicht zum Zweck der Ernährung anbaute, schätzt die bürgerliche Klientel vor allem die Freude am von giftigen Rückständen weitgehend freien Produkt, das zumeist auch noch knackiger ist und nach mehr schmeckt als die Ware aus dem Gemüseladen. Die Gartenarbeit selbst, Gegenpol zu beruflichem Stress und eintöniger Hausarbeit, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle.

Von der Freude am eigenen Garten
Alte Gemüsesorten in England

Gemüse in Vollendung
Je kleiner, desto heißer

Organic Food statt Massenware
Altes Saatgut erhalten