Verfasst u. a. für „Hannoversche Allgemeine“ (erschienen 20.03.1999), „Süddeutsche Zeitung“ (19.01.1999) und „Tagesspiegel“ (11.04.1999) Nachtleben und kein Ende Wenn um 23 Uhr der letzte Kiosk auf den Ramblas schließt und Straßenkehrer mit dicken Wasserschläuchen anrücken, um der berühmten Flaniermeile eine kalte Dusche zu verpassen, könnte man meinen, Barcelona würde im nächsten Moment zu schnarchen beginnen und in einen geradezu provinziellen Tiefschlaf verfallen. Doch wer sich dann schon in sein Hotelzimmer zurückzieht, verpaßt das Entscheidende. Das Nachtleben der katalanischen Metropole spielt sich nämlich zum großen Teil im Zwielicht der madrugada ab, eher also bei Tagesanbruch als zu vorgerückter Stunde, so daß Frühaufsteher und Nachtschwärmer oft zusammentreffen. Egal ob Designerbar oder Szeneclub, in den versteckten Winkeln des Barri Gòtic und in der Eixample beginnen die Barceloneser meist erst um 2 Uhr mit der Inszenierung jener Tageszeit, zu der man andernorts bereits abgestürzt ist. Gegen 4 Uhr, wenn der Trubel seinen Höhepunkt erreicht, sind die Schlußlichter der letzten Metro längst im Tunnel verschwunden, aber dieser Umstand braucht niemanden von ausgedehnten Touren abzuhalten. Freitags, samstags und in Nächten, auf die ein Feiertag folgt, gibt es den Nit Bus, ein dichtes Netz des Öffentlichen Nahverkehrs, das sich bis über die Stadtränder dehnt und von 2 Uhr an bis zum Morgen den schnellen Wechsel von Bar zu Bar und von Club zu Club erleichtert. Mit einem entsprechenden Ticket ausgerüstet, braucht man also keinesfalls auf das Maremàgnum am unteren Ende der Ramblas auszuweichen, jene zwar moderne, aber gesichtslose Amüsiermeile, die anläßlich der Olympischen Spiele 1992 errichtet wurde und mit nichts weiter als dem üblichen Potpourri aus Boutiquen, Restaurants und Nachtklubs für den Massengeschmack aufwarten kann. Wer sich vom Clubbing mehr erwartet als dumpfen Beat und Teeniedisko, sollte wohl eher mit einem Sundowner im weit stimmungsvolleren Mirablau auf dem Tibidabo beginnen, das Meer und die Straßenschluchten, aus denen allmählich der Smog des Tages weicht, immer im Blick. Die Bar liegt direkt an der Endstation der Tramvia Blau, und eine Fahrt mit dieser altertümlichen Straßenbahn gehört ohnehin zum touristischen Pflichtprogramm. Einen stilvollen Abend versprechen nach wie vor die schicken Designerlokale der Stadt, allen voran das Otto Zutz (Lincoln 15). Gnadenlose Türsteher sorgen dafür, daß sich an den sechs Bars und auf der Tanzfläche der dreistöckigen Diskothek vor allem die Reichen und Schönen tummeln. Die unterkühlte Inneneinrichtung, durchgestylt bis ins Letzte, galt vielen Designern der 80er Jahre als richtungsweisend. Verspielter gibt sich das Torres de Ávila im Poble Espanyol am Montjuïc, dem zweiten Hausberg von Barcelona. Die Architekten Javier Mariscal und Alfredo Arribas haben die Terrasse mit romantischen Türmchen versehen, auf denen Sonne, Mond und Sterne blinken. Aller Glanz kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß chromblitzende Bars an Anziehungskraft verloren haben und die Szene neue Wege geht. Im Trend liegen derzeit eher ausgediente Fabrikhallen, kahle Kellergewölbe oder kleine Clubs, die auf Understatement setzen, wie etwa das MOOG (Arc delTeatre 3). Für die Innenausstattung mit viel Holz und Glas sowie das gestalterische Gesamtkonzept, zu dem auch die Flyer zählen, erhielt Designer Josep Bagà kürzlich den renommierten, von einem lokalen Fernsehsender und Audi gestifteten Laus-Preis. Vorwiegend werden Techno und House gespielt, mittwochs legen Gast-DJs aus aller Welt auf. Rund um Barcelonas Plätze Die Plaça Reial, Treffpunkt der Subkultur im Barri Gòtic, verströmt morbiden Charme. Dealer feixen mit Schlampen, die ihre besten Jahre längst hinter sich gelassen haben, und spärlich bekleidete Artistinnen jonglieren mit Fackeln, um hinterher beim Publikum abzukassieren. In Bars unter den Arkaden stimmen sich Einheimische und Touristen bei Wein und Tapas auf den Abend ein. Früher oder später taucht das wohl berühmteste Pärchen der Plaça auf, ein beleibter Akkordeonspieler in Frack und Zylinder, dessen Wanst umso komischer hervorsticht, als er im starken Kontrast zu den Pappflügelchen auf dem Rücken seiner zierlichen Begleiterin steht. Ein neuralgischer Punkt auf der nächtlichen Landkarte Barcelonas ist auch die Plaça del Sol im Stadtteil Gràcia. In dem einstigen Dorf, das 1897 eingemeindet wurde, sorgen heute Studenten und Künstler für Flair und die Preise sind im Vergleich zur Innenstadt moderat. Im Eldorado (Plaça del Sol 4) etwa, einer Musikbar mit Billard und Tanzfläche, braucht man nicht einmal Eintritt zu bezahlen. Die Namen der zahllosen Cafés sind alle ihrer pulsierenden Mitte, der Plaça del Sol, entlehnt: Mirasol, Equinox Sol, Sol de Nit. Im Gegensatz zu den In-Lokalen, in denen das Publikum scheinbar desinteressiert am Tresen lehnt, kann man hier die manchmal zugeknöpften Katalanen von ihrer besten Seite kennenlernen. Stilvoll aufwachen An Muntermachern nach durchzechter Nacht herrscht in Barcelona kein Mangel, denn wie überall in Spanien wird Kaffee auf alle möglichen Arten zubereitet. Trinken kann man ihn an jeder Ecke: als Milchkaffee (café amb llet), mit einem kleinen Schuß Brandy (carajillo) oder ganz einfach schwarz (café sol). Besonders beliebt ist derzeit das Schilling (Ferran 23), das von außen an ein Bestattungsinstitut erinnert. Die dunkle Fassade wird nur von Schaukästen aufgelockert, die unter dem Motto "Art & Schilling" den Rahmen für exzentrische Ausstellungen bilden. Im Innern drängt sich das junge Publikum, die Wände sind eng mit cava (Schaumwein) bestückt, und hohe Decken verleihen den Räumen einen großzügigen Touch.
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