Verfasst für „EDEN – Das Magazin für Gartengenießer“ (veröffentlicht Frühling 2000) In Standen, nahe East Grinstead in der südenglischen Grafschaft Sussex gelegen, schuf der erfolgreiche Londoner Anwalt James Beale gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Idyll – für seine Frau Margaret, sich selbst und seine sieben Kinder. Ganz in Arts & Crafts gehalten, der englischen Ausprägung des Jugendstils, ist der Land-sitz ein besonders gelungenes, besonders typisches Beispiel für jene Epoche. Voraussetzung für so viel Schönheit waren die ungewöhnliche Lage des Grundstück auf einer Anhöhe über dem malerischen Tal des Medway, viel guter Geschmack seitens des Bauherrn und sein glückliches Händchen bei der Auswahl illustrer Künstlerpersönlichkeiten, darunter auch William Morris (1834-1896), Designer und englischer Vorreiter der Jugendstilbewegung. Durch die hohen Sprossenfenster schimmert zartes Grün von Büschen und Bäumen. Bewegt von einem Frühlingslüftchen, das sie wie in einem Kaleidoskop gegeneinander verschiebt, beginnen die Blätter an den Ästen draußen in verschiedenen Farbtönen zu changieren; in Turmalin, Smaragd, dazwischen ein wenig Gelb, durch das gleißend die Sonne blitzt, um drinnen, im Salon, alles zum Funkeln zu bringen – handgewebte, farblich fein aufeinander abgestimmte Teppiche, filigran gemusterte Tapeten, Polstersessel mit sanft geschwungenen Armlehnen, glockenförmige Lämpchen und Leuchten, chinesische Vasen im Glanz ihrer erlesenen Glasur. Der Landsitz Standen ist ein Gesamtkunstwerk, an dessen Verwirklichung neben William Morris auch der Architekt Philippe Speakman Webb (1831–1915) und Margaret Beale, passionierte Gärtnerin und Ehefrau des Bauherrn, mitwirkten. Die ganze Anlage verrät den großbürgerlichen und zugleich zurückhaltenden Lebensstil des Londoner Anwalts James Beale. Architektur, Innenausstattung und Garten verbinden sich in vollendeter Harmonie. In einen der Sessel schmiegt sich ein Kissen mit Trellis-Motiv. Trellis (Spaliere) bilden die Grundstruktur – regelmäßige Quadrate, um die sich Kletterrosen winden. Kaum ein Entwurf der 1861 gegründeten Designer-Firma Morris und Co. fiel anmutiger aus als diese Komposition geometrischer und organischer Formen, die durch wie zufällig hingestreute Vögelchen noch an Leichtigkeit gewinnt. Inspiriert ist das Motiv von den Gartenanlagen des Red House, das Morris 1860 von seinem Freund und Mitstreiter Webb für sich und seine frisch angetraute Ehefrau Jane errichten ließ. So eng war die Verbindung zwischen den Künstlerfreunden, daß Webb zum Entwurf der Trellis die Vögelchen beitrug – Morris tat sich schwer im Zeichnen von Tieren. 1891, als die Planungen für Standen begannen, waren beide, Morris ebenso wie Webb, auf dem Höhepunkt ihrer künstlerischen Schaffenskraft angelangt. Wäre es nach den Maximen von Morris gegangen, so hätte man das natürliche Bedürfnis nach Schönheit und dessen Befriedigung wohl schon im 18. Jahrhundert in die Charta der Menschenrechte aufgenommen. Im Kontext seiner eigenen Zeit jedenfalls, der ausklingenden Viktorianischen Epoche, unternahm der rastlose und eigensinnige Mann mit dem jäh aufbrausendes Temperament alles, um seine unkonventionellen, sozialistisch gefärbten Überzeugungen in die Tat umzusetzen – ebenso wie viele andere Anhänger der Arts & Crafts-Bewegung. Wie gelassen das saturierte Bürgertum solche Ambitionen aufnahm, läßt eine Anekdote um den Landsitz Clouds bei Salisbury erahnen. Als das von Webb geplante Bauwerk kurz nach der Fertigstellung abbrannte, stellte die Hausherrin erleichtert fest: "Es ist von Vorteil, daß unser Architekt Sozialist war, denn wir wohnen im Dienstbotenquartier ebenso bequem wie in unserem eigenen." Webb liebte das traditionelle Handwerk und holte sich für seine Landhäuser Anregungen bei den bescheidenen, volkstümlichen Gebäuden Südenglands. Morris war von der Idee der Schönheit geradezu besessen. Nichts konnte ihn von seiner Überzeugung abbringen, daß sich eine stilvolle Umgebung günstig auf das zwischenmenschliche Miteinander auswirkt; daher auch sein Wunsch, möglichst breite Bevölkerungsschichten daran teilhaben zu lassen. "Welches Recht hat jemand, sich mit schönen Formen und Farben in seinem Haus abzuschließen, wenn er es anderen Menschen unmöglich macht, solche Freude zu erleben", so und ähnlich lauteten die Fragen, die ihn schon früh beschäftigten. Bereits als Kind hatte Morris erfahren, was es heißt, in einer bäuerlich intakten, fast noch mittelalterlich geprägten Umwelt zu leben. "Hochsommer auf dem Land: Hier kannst du zwischen Feldern und Hecken herumstreunen, die sich wie ein großer Blumenstrauß für dich ausnehmen. Es duftet nach Bohnenblüte und Klee, nach süßem Heu und Holunder. In den Gärten vor den Hütten prangen Blumen, und die Hütten selbst sind Modelle der Baukunst." So empfand schon der kleine William. Kein Wunder also, daß sich der Erwachsene die Natur zum Vorbild nahm, von ihr lernen wollte und kein starres Regelwerk für seine gestalterischen Grundsätze als verbindlich ansah, schon gar nicht den übertriebenen und daher verhaßten Prunk seiner Zeit. Morris benutzte Blüten und Blätter als Musterbogen, verwob Farben und Formen, um auf Teppichen und Tapeten, auf Vorhängen und Kissen seine stilisierten Gärten erblühen zu lassen. Mit dem Stichwort maßvoll läßt sich der Eindruck umschreiben, den die Außenanlagen von Standen erwecken. Überall scheint behutsam und beinahe unsichtbar eine ordnende Hand dafür zu sorgen, daß alle Teile einen angemessenen Platz im übergeordneten Ganzen einnehmen. Nichts drängt sich auf, nichts geht unter, weil sich etwas anderes in den Vordergrund spielen würde. Wer sich vom Teezimmer her in den Garten begibt, vorbei an der kleinen Gänsewiese, stößt linker Hand auf den noch recht formal gehaltenen Rosengarten, in dem unter anderem Rosa rugosa mit leuchtend grünem Flor und grazilen Blüten das Bild bestimmt. Welch Büsche und Bäume an den Hängen des hügeligen Grundstücks säumen überschaubare Parzellen und lauschige, ganz individuell gestaltete Winkel. Einige davon, darunter Rhododendron Dell und Bamboo Garden, sind einem einzigen Pflanzenthema gewidmet. Auf den ersten Blick mögen diese Exoten in einem Arts & Crafts-Garten überraschen. Die Sorge für ihre Pflege erscheint jedoch vergleichsweise gering, zieht man den Aufwand in Betracht, den Zeitgenossen mit hochempfindlichen Gewächsen in den für die Viktorianische Ära so typischen Glashäusern betrieben. Morris erteilte keineswegs nur heimischen Pflanzen eine Daseinsberechtigung in seinen Gärten, allerdings legte er großen Wert auf die naturnahe Gestaltung der Parkanlagen. Davon profitiert in Standen vor allem der Steingarten, an dessen Hängen Rhododendron luteum und Azaleen ihre duftenden Blütenwolken entfalten, während Hydrangea petiolaris und dichte Farne die scharfen Kanten des Felsens umwuchern. Über die Handläufe des Treppenaufgangs recken japanischer Ahorn (Acer japonicum und Acer palmatum), verschiedene Magnolien und Kamelien ihre Äste. Nahe der Terrasse taucht auch das bekannte Trellis-Motiv wieder auf – diesmal als echtes, von Philippe Speakman Webb entworfenes Spalier, an dem sich alte Rosensorten emporranken. Ihr Duft betörte schon die einstigen Bewohner, die im Garten ungestört ihren Vergnügungen nachgehen konnten, denn an einen Krocket-Rasen hatten die umsichtigen Planer ebenso gedacht wie an einen kleinen Badeplatz im Baboo Garden. Ganz im Sinne von Arts & Crafts war ein Park entstanden, der großbürgerliche Weitläufigkeit mit der Intimität eines heiteren Familiengartens verbindet. Die Hoffnungen auf eine sozialreformerische Wirkung von Arts & Crafts erfüllten sich jedoch nicht. Die Bewegung entwickelte sich zu einer hochpreisigen Modeströmung, und ihre Luxuskreationen konnten sich nur einige wenige leisten, vor allem wegen des hohen Anteils an Handarbeit. |