Verfasst u. a. für „Frankfurter Rundschau“ (veröffentlicht 18.12.1999) und „Tagesspiegel“ (26.12.1999) Apokalyptische Reiter am Badestrand Um den Elias-Berg (Prophítis Ilías), mit 269 Metern höchste Erhebung auf der griechischen Insel Pátmos, breitet sich die Ägäis so schön wie am ersten Tag: Ikaria im Nordwesten, Samos im Nordosten, dann Arki, Lipsi, Leros und - ganz im Osten - die türkische Küste. Tief eingekerbt sind die Buchten von Pátmos und in unmittelbarer Nähe der Insel ragen vulkanisch bizarre Felsbrocken aus dem glitzernden Meer. Je nach Lichteinfall wirken sie abweisend schroff oder wie weich modellierte Skulpturen. Die Insel profitiert vor allem von ihren atemberaubenden Aussichtspunkten. Wegen der hügeligen Oberflächenstruktur sind es besonders viele. In Grundzügen erinnert Pátmos an eine Achterbahn mit eng gegürteter, tief nach unten gedrückter Mitte dort, wo kaum einen Meter über dem Meeresspiegel der Hafen Skála liegt und ein gerade einmal 500 Meter breiter Streifen Land den nördlichen Teil der Insel mit dem Süden verbindet. Nach beiden Himmelsrichtungen hin schlängeln sich Serpeninen um die ansteigenden Berge. Die Saison auf Pátmos beginnt bereits im April. Im Frühling erinnert Pátmos an eine bunte Blumenwiese, sagt Katharina, eine deutsche Floristin, die zusammen mit ihrem griechischen Lebensgefährten ein Café in Skála betreibt. Sie pflückt dann alle drei Tage einen dicken Strauß Margeriten oder arrangiert einzelne Calla in einer Vase, um die sie ein paar Zitronen drapiert. Von Skála aus führt ein mit Feldsteinen gepflasterter Fußweg durch duftende Seidenkiefernhaine zur Grotte der Apokalypse, die als Keimzelle religiösen Lebens auf der Insel gilt. Um die Grotte herum wurde auf dem nackten Felsen ein würfelförmiges Gebäude errichtet, das geheimnisvoll wirkt und zugleich schlicht. In der Grotte selbst, wo der Evangelist Johannes der Legende zufolge seine Visionen vom Weltuntergang geschaut haben soll, herrscht schummriges Dunkel. Man kann sich das Geschehen lebhaft vor Augen führen: Eine bodennahe Vertiefung im Fels, heute in Silber gefaßt, soll dem um 95 n. Chr. von Kaiser Domitian nach Pátmos verbannten Evangelisten als Nackenstütze gedient haben und eine ebenfalls verzierte Mulde als Griff, der ihn beim Aufstehen stützte. Über die Decke verläuft ein kreuzförmiger Spalt, aus dem die göttliche Stimme gedrungen sein soll, um das visionäre Bewußtsein des Evangelisten zu erleuchten. Der Wind fegt durch die schmalen Gassen der Inselhauptstadt Chóra, die hoch über dem Hafen auf einer Felskuppe thront. Die hingewürfelten Häuser gruppieren sich um das im 11. Jahrhundert gegründete Johanneskloster, das mit kostbaren Kleinodien, Ikonen und rund 900 Handschriften einen der wertvollsten griechischen Kirchenschätze birgt. Historisch bedeutsam ist die Goldene Bulle des byzantinischen Kaisers Alexios I. (1048-1118) aus dem Jahr 1088. Darin wird die Insel Pátmos an Abt Christodoulos übergeben, der dort ein Kloster zu Ehren des heiligen Johannes errichten soll. Christodoulos wählt als Standort eine felsige Anhöhe, das Kloster wird aber erst nach seinem Tod fertiggestellt. Bereits im 12. Jahrhundert beginnt das Städtchen Chóra zu wachsen. Mathíos Melianos, der Bürgermeister von Pátmos, blickt gelassen in die Zukunft. Mit rund 80 Prozent der Stimmen wurde der ausgebildete Theologe in sein Amt gewählt. Für die Gemeinde hat Melianos jederzeit ein offenes Ohr, und abends findet der grauhaarige, aber vitale Bürgermeister nach mehr als zwölf Stunden Arbeit noch Zeit zu einem gemeinsamen Imbiß mit Costas Trovas, dem Vorsitzenden des Hotelierverbandes. Dieser will ein Schiff organisieren, das Urlauber in nur sieben statt wie bisher neun Stunden von Piräus nach Pátmos bringt. Einig ist man sich darüber, daß die Urlaubssaison künftig erst im Oktober enden soll, damit sich der Touristenstrom besser verteilt. Früher oder später, sagt Costas, erliegt jeder der Faszination, die von Pátmos ausgeht. Man verliebt sich einfach. Die einen kommen sehr bald zurück, bei den anderen dauert es etwas länger. Vom Elias-Berg aus betrachtet fügt sich sogar das Johanneskloster, sonst immer dominierender Mittelpunkt, harmonisch in die Umgebung ein. Das Relief der kargen Eilande um die Insel tritt gegen Abend besonders kräftig hervor. Überraschend schnell versinkt die Sonnenscheibe im Meer. Es wird dunkel. Erst später flammt nochmals ein Schein von Abendrot auf. Serviceinformationen: Unterkunft: Essen & Trinken: Ouzeri Hiliomodi (Despina Kamitsí); Skála; Tel.: 0247/ 32674, 32357; hier treffen sich abends die Fischer; fangfrischer Oktopus und beste Mezedes. Weitere Informationen: Griechische Zentrale für Fremdenverkehr, Pacellistr. 5, 80333 München; Tel.: 089/ 22 20 35-36, Fax: 29 70 58.
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