Verfasst für “EDEN – Das Magazin für Gartengenießer” (veröffentlicht Winter 2000) Wo Mutter Erde sich am wohlsten fühlt Dort, wo bis vor 1.500 Jahren eine geschlossene Landmasse als Eiland aus dem Meer ragte, sprenkeln heute rund 100 Inseln den Atlantik: Die Isles of Scilly vor der Südspitze Cornwalls. Auf einer von ihnen legte Gartenfanatiker Augustus Smith um 1834 Tresco Abbey Gardens an, eine der spektakulärsten Parklandschaften der Welt. Knatternd setzt wieder ein Hubschrauber auf. Ganz nahe neben dem Zaun, der die fließende Grenze zwischen Garten und Küste markiert. Wer mit dem Helikopter direkt auf die Insel Tresco kommt, hat schon viel verpasst, noch ehe Grund und Boden von Tresco Abbey Gardens betreten sind. Hat die Silhouette der Isles of Scilly mit ihren ausgefransten Sandstränden und gläsernen Lagunen vielleicht nicht so genau gesehen wie man sie vom Fenster des kleinen Motorflugzeugs aus betrachten kann, das in Land's End startet und auf St Mary's landet. Hat den Bootstrip von St Mary's nach Tresco nicht miterlebt, und weder Steuermann Steve noch seine weit abstehenden Ohren kennengelernt. "A lucky morning - we have five ladies", stellt er befriedigt fest. Welch glückliche Fügung an diesem Morgen: Wir haben fünf Damen an Bord. Ein klarer Tag, rauhe See. Die Fischerboote im Hafen von St Mary's schaukeln. Nahe der Mole ducken sich Häuser zusammen, um dem Wind die Stirn zu bieten. Von den rund einhundert Scilly-Inseln rund 30 Meilen vor der Küste Cornwalls sind nur fünf bewohnt: Neben St Mary's und Tresco zählen dazu Bryther, St Martin's und - als kleinste - St Agnes. Wohl eine Laune der Natur, dass hier überhaupt Land entstand. Ringsum dehnt sich nur Weite und Meer. Möven verharren regungslos in der steifen Brise, gleichen höchstens eine Böe aus, lassen sich treiben. Ein spitzer Schrei aus einer Vogelkehle, dann geht ein Beben durch den Schiffsrumpf. Nach zehn Minuten taucht rechter Hand eine zerklüftete Inselkette aus dem Meer. Hingewürfelte Stücke Land, die zum Teil nur aus einzelnen Brocken bestehen, gesäumt von goldenen Sandbänken und Stränden. Einer, der sich hier verliebte, war Augustus Smith. In die Landschaft und die Menschen. Vor allem aber kam ihm das Klima entgegen, das in seinen Auswüchsen dafür sorgt, dass auf den Scillies bereits im Oktober Narzissen blühen - zwei Monate früher noch als im ebenfalls vom Golfstrom verwöhnten Süden Englands. Im Winter 1999/ 2000 wurden 5 Grad Celsius als tiefste Temperatur gemessen, erzählt Head Gardener Andrew Lawson. Das Klima sei mit den mediterranen Regionen Chiles vergleichbar. Frost gibt es so gut wie nie. Wen wundert es da, dass die Knospen der Kamelien im November platzen und die Osterglocken schon Mitte Februar, weit vor dem christlichen Frühlingsfest also, verblühen? Eine verkehrte Welt könnte man meinen, die sich auf den Isles of Scilly allerdings von ihrer schönsten Seite zeigt. Für die Pläne, die Augustus Smith verfolgte, bot das Klima die besten Voraussetzungen. Smith war zwar kein Fachmann, dafür aber von der Idee besessen, auf Tresco einen Garten mit vorwiegend der südlichen Hemisphäre entstammenden Pflanzen anzulegen. Agaven, Palmen, Proteen, Aloen und Bromelien - mit schlichteren Gewächsen gab er sich gar nicht erst ab. Die Old Abbey, erbaut um 1100 und einst in der Obhut von Benediktinern, sollte die Keimzelle des Gartens bilden. Smith begann dort um 1834 mit seinem Lebenswerk. Damals wie heute präsentiert sich die einstige Kirche als malerische Ruine, und der Umstand, dass ihr im Laufe der Jahrhunderte das Dach abhanden gekommen war, ließ ein Gärtchen der besonderen Art entstehen. Die Mauerreste sind von kanarischen Aloen wie dem leuchtend gelben Aeonium und rosa Mesembreanthemum überwuchert; auf kahlen Stengeln entfaltet die in Südafrika beheimatete Amaryllis Belladonna ihre Pracht, und an den Fensterwandungen der ehemaligen Kirche prangen hauchdünne lila Blütenkelche von Ipomoea learri. Die Natur fühlt sich offenbar wohl im Kirchengemäuer. Bewohner sind jetzt die Pflanzen, und sie scheinen einen stillen Gottesdienst zu feiern, einzig und allein zum Lobpreis ihrer üppigen Vielfalt. Nahe der "Great Wall", der großen Mauer ein paar Schritte weiter, brachte Smith Pflanzen aus Neuseeland unter. Begünstigt durch das Mikroklima, sollten bald Clianthus puniceus mit hummerscheerenförmigen, krapproten Blüten und Kiwi an der Pergola emporranken. Der Anfang war gemacht, und im Weiteren baute der Initiator die gesamte Anlage planvoll aus. Stück für Stück arbeitete er sich den Hang empor, immer darauf bedacht, vor dem kühlen Westwind geschützte Räume zu schaffen. Manchmal aber wird auch Tresco vom Frost überrascht. Zuletzt 1987 verwüsteten Minustemperaturen den Garten, wenig später folgte ein Hurrikan. Es dauerte zehn Jahre, bis die Anlagen vollständig wiederhergestellt waren. Tresco Abbey Gardens zählt heute zu den berühmtesten Gärten der Welt. Überbauscht von den ausladenden Kronen der Monterrey-Zypressen, die um 1850 auf dem Hügelrücken angepflanzt wurden, sonnen sich die Exoten am Hang. Auf drei Etagen breitet sich die florale Pracht aus, die in vielen Fällen eher kurios als grazil, eher kraftvoll als anmutig wirkt. Während auf der mittleren Terrasse die im Mai und Juni blühenden Puyas im Mittelpunkt stehen, darunter die gelbe Puya chilensis, ist die obere Terrasse vorwiegend südafrikanischen Proteen gewidmet. Angesichts dieser recht sperrigen Pflanzen lässt sich erahnen, wieviel gartenbauliche Kunstfertigkeit hier am Werk war. In vollendeter Einheit gebündelt besiedeln unterschiedlichste Vertreter aus dem Pflanzenreich die Böschungen: ausladende Palmen und Drachenbäume, buschige Farne und Baumerika, stachelige Agaven und andere Kakteen, dazwischen unzählige Sträucher, Blütenpolster und Steingartengewächse. Nirgends stören harte Kanten oder schroffe Kontraste den harmonischen Gesamteindruck. Welch angenehme Überraschung, wenn man Proteen in erster Linie aus dem Trockengesteckrepertoire heimischer Floristen kennt, wo sich das ursprüngliche Rosa in langweiligen Brauntönen verliert oder - im günstigsten Fall - noch als fader Abglanz zu erahnen ist! Auf Tresco finden sich flauschige Kelche, um die sich Blütenblätter in herrlichen Farben reihen. Vom silbern schillernden Laub als einzig passendem Hintergrund heben sie sich zart leuchtend ab. Angesichts der üppigen Vielfalt fällt die Agaven-Skulptur von Tom Leaper im Zentrum des Mediterranean Garden nicht weiter auf: Das Metallgebilde sieht einer echten Pflanze zum Verwechseln ähnlich. Von der oberen Terrasse aus überblickt ein bärtiger Neptun das Pflanzenmeer. Die Aussenhaut aus feinem Sand wurde nachträglich auf die Büste aufgebracht, denn ihrem ursprünglichen Verwendungszweck gemäß besteht sie im Inneren ganz aus Holz. Sie entstammt der SS Thames, einem Schiff, das 1841 nahe Tresco zerschellte. Nicht nur als Inseln der Osterglocken gelten die Scillies, mit ihren kantigen Riffen und Klippen haben sie durch zahllose Schiffsunglücke traurige Berühmtheit erlangt. Mannschaften und Passagiere zuhauf liegen auf dem Kirchhof von St Mary's begraben, und in Tresco Abbey Gardens wurde eine Auswahl lebensgroßer Galionsfiguren, die so genannte Walhalla, zusammengetragen. Die hoffnungsfroh blickenden Gesichter dieser Gestrandeten bilden einen eigenartigen Kontrast zu ihrem Schicksal. Eigentlich gehören sie jetzt dem National Maritime Museum, erzählt Head Gardener Lawson. "They come over one time per year to give them some colour" (Einmal im Jahr kommt jemand vorbei, um frische Farbe aufzupinseln). Das Völkchen mit den vorgereckten Hälsen ist also gut versorgt. Weit besser als die flüchtigen, einst den Launen des Meeres ausgesetzten Gestalten eignet sich Gaia für die Rolle der Gartenbeschützerin. Grazil und gleichzeitig erdverbunden thront die Erdmutter des antiken Mythos im Herzen von Tresco Abbey Gardens, die Arme lässig im Nacken verschränkt. Ihr Körper, modelliert von David Wynne, besteht aus gemasertem Stein in den warmen Erdtönen südafrikanischen Marmors. Zu Gaias Füßen summen Bienen, und das klare Licht der Scillies lässt unzählige Blüten farbenfroh flirren. Tresco Abbey Gardens, Mike Nelhams, Tresco, Isles of Scilly, Cornwall TR24 0QQ; Tel.: 01720-424105, Fax: 01720-422868; geöffnet tgl. 10-16 Uhr. Weitere Informationen:
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