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Noch aus Viktorianischer Zeit erhalten: Gewächshauser in West Dean Gardens.
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Eine Zickzack-Wand aus Backstein hält den Wind ab und sorgt für günstiges Mikroklima. Das Zackenmuster der Crinkle-Crankle-Wall spiegelt sich in den buchsgesäumten Wegen wider. Die Bäume stecken in Käfigspalieren.

West Dean Gardens
Gemüse in Vollendung
Je kleiner, desto heißer

Heiß und feurig ist die Lieblingspflanze von Jim Buckland, Manager in West Dean Gardens nördlich von Chichester. Jim ist Mitte Vierzig, seine Haare sind noch pechschwarz, und man sieht ihm an, dass er sich fast ausschließlich unter freiem Himmel bewegt. In England genießt ein Gärtner mehr Prestige als ein einfacher Handwerker, denn seine Profession ist eher künstlerischer Natur, besonders wenn er wie Jim in den Königlichen Gärten von Kew in der Grafschaft Kent ausgebildet wurde. Ich treffe ihn im Obstgarten, seinem Ziehkind seit er West Dean Gardens vor mehr als zehn Jahren zusammen mit seiner Frau, der Australierin Sara Wain, unter seine Fittiche genommen hat. Was er an der Anlage, einst Wohnsitz des Kunstmäzens Edward James, besonders liebt? Überraschenderweise nennt er das Arboretum hügelan, das er von seinem Wohnhaus im Park aus überblickt. Ich habe das weitläufige Waldgebiet mit seinen duftenden Baumriesen aus Übersee soeben durchwandert, erzähle Jim davon, und deute auf meine vor Nässe quietschenden Wildlederschuhe. Es hat geregnet - gut für die Haut - und so einsam ist es auf den grasbewachsenen Wegen bei Sonnenschein nie.

Jim lädt mich zu einer Tasse Tee ein, bietet mir Biskuits zum Eintunken an und antwortet mit überraschender Offenheit. Nein, von historischen Pflanzen könne man ernsthaft nicht reden. Wohl kein Land in ganz Europa habe ursprünglich eine so beschränkte Artenvielfalt aufzuweisen gehabt wie England. Den Umstand, dass die Briten heute als Mustergärtner gelten, verdanke man wohl eher den weltweiten Handelsbeziehungen und dem ausgesprochen günstigen Klima. Gewisse Zugeständnisse an die landläufigen Klischeevorstellungen macht er trotzdem. Auch er bevorzugt in der Regel die alten nostalgischen Rosensorten mit den schneeballgroßen, stark duftenden Blüten. Ein Hauch von Romantik hängt den oft mehrmals im Jahr ihr Feuerwerk entfachenden Büschen an, so als würden sich junge Mädchen mit ausladenden weißen Hüten in ihrem Schatten niederlassen, um tuschelnd Liebesbriefe zu besprechen. Leise gurrendes Lachen klingt herüber, zusammen mit dem berauschenden Duft, den ein leiser Windhauch durch die Jahrhunderte trägt.

Mit einem Exkurs über Chilipflanzen holt mich Jim in die Gegenwart zurück. Von den 13 viktorianischen Gewächshäusern, die in West Dean Gardens noch original erhalten sind, hat er eines ausschließlich für seine mehr als 100 Sorten umfassende Chilisammlung reserviert. Säuberlich eingetopft säumen die Pflanzen unseren Weg unter Glas. In allen Farbschattierungen schimmern die reifen Früchte, von rot über orange bis dunkelbraun und violett. Vielfältig gestalten sich auch Größe und Form. Länglich gekrümmte Schoten sind ebenso vertreten wie knollenförmige Kolben und winzige Kugeln. "Je kleiner die Frucht desto schärfer", erklärt mir Jim als Faustregel. Während das Auge bei der recht stattlichen Sorte Hot Banana in der Regel trocken bleibt, muss man bei Habañero tief Luft holen.
Die Spezialisierung auf nur eine Obst- oder Gemüsesorte ist in England keine Seltenheit. Schon im 17. Jahrhundert wurden unter Kleingärtnern regelrechte Wettbewerbe ausgetragen. Diese Tradition dauert bis heute fort. "Im Dorf meines Großvaters zum Beispiel hatte man sich auf die Züchtung von Stachelbeeren eingeschworen", erzählt Jim. In West Dean Gardens dagegen kann von so viel Selbstbeschränkung keine Rede sein. Der viktorianische Küchengarten quillt über von verschiedensten Gemüsesorten, immer wieder unterbrochen von meterhohen Sonnenblumen, buschigen Dahlien und den schlanken Dolden der Gladiolen. Das Besondere daran: Alle Beete sind von einer hohen Backsteinmauer umgeben, die Obst und Gemüse vor schädlichen Witterungseinflüssen schützt und die Wärme speichert.
Jim blickt auf die Uhr. Er müsse sich nun wieder dem Beschnitt seiner Bäume widmen, erklärt er entschieden. Ich begleite ihn zum Obstgarten zurück und betrachte die kronenförmigen Käfigspaliere. Wenn die streng geformten Bäum-chen im Inneren Früchte tragen, erübrigt sich eine Leiter. Genussfreudigen Gartenbesuchern wachsen Äpfel, Birnen und Pflaumen regelrecht in den Mund. Aber es muss ja nicht gleich das Schlaraffenland sein. Das authentische Aroma einfacher Gemüsesorten ist Lohn genug für die Arbeit im eigenen Garten.

Von der Freude am eigenen Garten
Alte Gemüsesorten in England

Gemüse in Vollendung
Je kleiner, desto heißer

Organic Food statt Massenware
Altes Saatgut erhalten