Philosophen am Radlbahnhof
Lexikon der vor Schönheit vergehenden Worte
"Einfach auf sich zukommen lassen", Teil 1
Es gibt echt Leute, sagt Andreas, die immer alles zerhacken müssen. Nicht zerpflücken („er liebt mich, er liebt mich nicht...“) oder zerreden („hast du schon gehört?“), sondern – zerhacken. Es fällt mir Hamann ein, auf den man ein Weilchen warten soll, und sein Hackebeilchen, von dem es heißt, dass er damit so gern Hackefleisch aus seinen Mitmenschen macht. Solche Leute sind gemeint, nur, dass sie Hackefleisch nicht aus Mitmenschen machen, sondern aus anderen Sachen (Gedanken, Erlebnissen u. dgl.). Ganz nachvollziehen kann ich das nicht, obwohl Andreas erklärt, das hätte was zu tun mit vielem Nachdenken, mit Analyse, letztendlich Grübeln und so.
Wir lassen die Sache erst mal auf sich beruhen – bis zum nächsten Besuch im Biergarten, genauer gesagt, bis zum „Radlbahnhof“ Theuern. Dort, an einem Freitag, kommen wir auf das Zerhacken zurück, und zwar anlässlich der Frage, wieso die Einen massenhaft Sternschnuppen sehen, die Anderen gar keine, und weil wir uns darüber irgendwie wundern. Eigentlich ein schöner Maienabend. Mit drohendem Unwetter zwar, aber so warm wie sonst nur im August.
Der Nachhimmel leuchtet jetzt, kurz vor dem Sturm, der für Baden-Württemberg samt Gewitter ankündigt ist, voll mit Sternen. Beim Herfahren noch war eine dunkelgraue Wolke im Scherenschnitt zu sehen, aufgebaut so dünn wie ein Bogen Seidenpapier, und nur am Rand mit einem schmalen Silberstreifen umglänzt. Kein Gold, kein Abendrot. Stattdessen ein Sonnenuntergang ganz ohne Sonne und so mondän wie ein Schmetterling namens Trauermantel. Um 23.30 Uhr kündigt eine SMS auch für 92224 (das ist Amberg) starke Böen an.
Ehrlich gesagt: So oft denke ich gar nicht mehr darüber nach, wer was zerhackt und warum, und darüber, ob ich das schlecht finden soll oder gut, förder- oder hinderlich, sympathisch oder abstoßend. Weil inzwischen bin ich – trotz aller Unzulänglichkeit auf beiden Seiten – mit mir selber und der Welt doch zumindest e i n i g e r m a ß e n im Reinen. Und sind wir nicht alle irgendwie kompliziert geworden oder – wenn schon nicht kompliziert, dann doch stattdessen irgendwie – langweilig? Nachgedacht wird ab 40 nur noch beim Stolpern. Andreas ist jemand, der Einen wie nebenher zum Stolpern bringt. W i e er das anstellt, bleibt sein Geheimnis. Könnte sein, dass es etwas zu tun hat mit vielem Nachdenken, mit Analyse, letztendlichem Grübeln und so – oder damit, dass er ziemlich oft Recht hat und eine ausgeprägte Menschenkenntnis dazu. So was ist selten, und wer stolpert, denkt nach.
Irgendwie geht es beim Zerhacken wohl um das Glück und um die Sternschnuppen und darum, dass sie für die Einen vom Himmel fallen, für die Anderen anscheinend nicht. Wenn die Sternschnuppen für die Einen einfach so vom Himmel fallen, dann haben die es vielleicht gar nicht nötig, alles zu zerhacken, die Anderen aber evtl. schon: Ziemlich langweilig, so ein Sternenhimmel, wenn nie was runterfällt. Da fängt man quasi von selbst an zu zerhacken, allein schon aus Langeweile.
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