"Desk 2007" (Ausschnitt) von Birgit Zimmermann.
5 Sinne: Fühlen
Aus dem Wörterbuch des Zeitgeists
Das „Alleinstellungsmerkmal“
Braucht Heimat ein Alleinstellungsmerkmal? Eigentlich nicht. Vielmehr verstellen derartige Begrifflichkeiten aus dem Wörterbuch des Zeitgeists eher den Blick. Nehmen wir das Wortungetüm doch einfach mal auseinander. Da soll etwas allein gestellt werden. Es soll Eines vom Anderen abgegrenzt werden, und zwar durch ein Merkmal. Geleugnet wird schon im Wort selbst, dass etwas – zum Beispiel eine Stadt oder Region – Charakteristisches aufweist, das diese von Anderen (Städten oder Regionen in dem Fall) abhebt. Ansonsten bräuchte es das Alleinstellungsmerkmal ja nicht.
Suggeriert wird also erst einmal ein Mangel: Wir sind nichts Besonders. Wir haben nichts Besonderes. Stellt sich die Frage, ob das so stimmt. Im Grunde verhält es sich doch genau anders herum: Das so genannte Alleinstellungsmerkmal verstellt den Blick auf das bereits vorhandene Abweichende, das bereits Innewohnende, das im Grunde auch so Empfundene, Gedachte und Gewusste. Indirekt wird behauptet, es sei gar nicht vorhanden. In der Folge müsse man es erfinden oder zumindest benennen.
Es handelt sich um ein gedankenloses Benennen, denn es wird so getan, als würde ausschließlich das Alleinstellungsmerkmal das Besondere ausmachen und begründen, so als gäbe es andere Merkmale besonderer Art überhaupt nicht. Bei näherer Betrachtung ist es aber doch so, dass gerade das Zusammenspiel besonderer Merkmale das Charakteristische hervor bringt. Mit dem „Alleinstellungsmerkmal“ geht eine Entwertung besonderer Merkmale und ihres Zusammenspiels, des Charakteristischen also, einher. Diese Entwertung steht im Dienst leichter Konsumierbarkeit, die allerdings im Zeichen allgemeinen Werteverlustes momentan dabei ist, den Geist aufzugeben, und zwar im doppelten Sinn.
Die Alternative zur schnellen Konsumierbarkeit des „Alleinstellungsmerkmals“ ist ein immer wieder neu zu Findendes, das individuell entdeckt, gesehen und gefühlt werden kann und sich so der schnellen Konsumierbarkeit entzieht. Kurz und gut: Das Alleinstellungsmerkmal erspart uns die Suche, nimmt uns aber auch die Freude am Finden und somit ein Stück Lebensqualität.
(Kommentar d. Red.)
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Das „Alleinstellungsmerkmal“